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"Westfront 1918" und der Weltkriegsfilm der Weimarer Republik

Vier Soldaten in kantigem Profil, auf dem Kopf ein nur angedeuteter Stahlhelm, der Blick starr zur Seite. Sie stehen in Reih und Glied wie beim Appell, ihre Gesichtszüge gleichen sich, Kinn und Nase sind scharf und eckig, die Lippen zusammengepresst. Wie Skulpturen aus grauem Stein. Das Plakat des Grafikers Fritz Weber für den Spielfilm "Westfront 1918" aus dem Jahr 1930 veranschaulicht, was die Figuren des Films auszeichnet: Sie erscheinen austauschbar und anonym, hart und unnahbar. Gefühle zeigen sie nicht – weder Angst noch Freude, weder Stolz noch Hass.

Als der Film im Mai 1930 in die deutschen Kinos kommt und später auch im Ausland läuft, bedurfte der Filmtitel mit der lapidaren Nennung von Ort und Jahr keiner Erläuterung: Mit der Westfront war jener hunderte Kilometer lange Frontabschnitt gemeint, der im Ersten Weltkrieg von der Küste des Ärmelkanals quer durch Belgien bis in den Osten Frankreichs reichte. Im Jahr 1918 war dies der tödlichste Ort der Welt. Zwar lag der Krieg im Jahr 1930 schon 12 Jahre zurück, doch die Erinnerung daran und die Versuche, einen tieferen Sinn im massenhaften Sterben zu erkennen, waren weiter heiß umstritten.

"Im Westen nichts Neues"

Ein Jahr früher war Erich Maria Remarques Kriegsroman "Im Westen nichts Neues" (1929) erschienen und hatte für ungeheures Aufsehen gesorgt: die Geschichte eines jungen Kriegsfreiwilligen, der voller Begeisterung und Vaterlandsliebe in den Krieg zieht, an der Front aber alle Ideale verliert und auch den Glauben daran, dass er etwas Richtiges, Gutes tut. Er wird Zeuge des Sterbens und Hungerns, versteht die Welt und die Menschen zuhause nicht mehr. Ohne Überzeugung kämpft er weiter – und stirbt. Viele Leser fanden sich in diesem Porträt einer „verlorenen Generation“ wieder und machten das Buch zu einem Bestseller. Nationalistische und rechtskonservative Kreise warfen dem Autor dagegen vor, die Würde und das Ansehen der Gefallenen zu verletzen und hehre Werte wie Patriotismus und Opfermut zu verraten.

Die öffentliche Debatte über "Im Westen nichts Neues" zeigte 1929/30, wie gespalten die deutsche Gesellschaft in der Frage war, wie der Krieg zu deuten und zu erinnern sei. Für was waren die Soldaten gefallen? Hatten sie ein ehrwürdiges Opfer für ihr Vaterland gebracht? Oder waren sie sinn- und zwecklos „verheizt“ worden zum Ruhme des Kaisers und für den Profit der Rüstungsindustrie? Für viele war klar, dass die einzige Lehre lauten dürfe: „Nie wieder Krieg!“ Aber es gab auch zahlreiche Leute, die sich wieder nach einem starken, verteidigungsbereiten Deutschland sehnten und die „Schmach der Niederlage“ unbedingt abschütteln wollten.

Dutzende Kriegsromane und Erlebnisberichte erschienen um 1930. Die einen nahmen eine Antikriegshaltung ein und stellten sich hinter die Republik, andere aber verherrlichten das Kriegserlebnis und sympathisierten mit politisch rechtsstehenden, oft antidemokratischen Positionen. Unter den vielen Neuerscheinungen war auch der Roman "Die Vier von der Infanterie" (1929) von Ernst Johannsen (1898-1977), der seine eigenen Kriegserfahrungen verarbeitete und den Sinn des Krieges in Frage stellte. Auf diesem Roman basiert der Film "Westfront 1918".

Spielfilme, die auf den Weltkrieg zurückschauten, gab es auch davor schon. Die meisten davon nahmen gemäßigte Positionen ein, weil sie ihr Publikum nicht vor den Kopf stoßen wollten. Der Krieg erschien in diesen Filmen als Bewährungsprobe für einen Einzelnen, der durch seine Erlebnisse reifer wird, als Geschichte von heroischen Taten, Selbstverleugnung und Verzicht und als Hintergrund für tragische Liebesgeschichten, in denen der Krieg die Liebenden trennt und zu Warten und Ungewissheit verurteilt. Andere erzählten von längst totgeglaubten Kriegsheimkehren, von realen Personen, die als Helden gefeiert wurden oder sie stellten in quasi dokumentarischer Manier berühmte Schlachten und Ereignisse nach.

Verstörende Geräuschkulisse

So unterschiedlich diese Filme und ihre Intentionen auch waren: Gemeinsam hatten sie, dass sie „stumm“ waren – sie besaßen keine Tonspur. Erst 1929/30 wurde der Tonfilm eingeführt, so dass Schauspieler sich nicht mehr nur durch Gesten und Mimik ausdrücken konnten, sondern auch mit ihrer Stimme. Zuvor, in der Zeit des Stummfilms, waren Filme im Kino mit Live-Musik begleitet worden, mussten aber auf Dialoge und Geräusche verzichten.

"Westfront 1918" war der erste große Kriegsfilm, der in Deutschland als Tonfilm herauskam. Aus eigener Erfahrung und aus Berichten wusste das Publikum zwar, dass an bestimmten Abschnitten der Front ein infernalischer Lärm geherrscht hatte und dort fast ununterbrochen Granaten einschlugen und Maschinengewehre feuerten. Neu war, dass diese Geräuschkulisse nun auch im Kinosaal zu hören war und verstörend wirkte.

Der Regisseur erspart dem Publikum nichts

Erzählt wird von vier namenlosen deutschen Soldaten, die in Frankreich 1918 verdreckt und müde und ohne jede Aussicht auf Besserung weiterkämpfen müssen. Sie wissen: Für das Leben sind sie verloren. Der Regisseur Georg Wilhelm Pabst erspart dem Zuschauer nichts: Nicht das Töten und Krepieren, nicht den Lärm, die innerliche Leere und den Wahnsinn. Dazwischen Episoden aus der Etappe, überschwänglich im Angesicht des Todes.

"Westfront 1918" ist ein Film vom Ende: vom Ende des Krieges, vom Ende aller Illusionen, vom Sterben. Zugleich enthielt der Film die Ahnung von einem Neuanfang: In den letzten Szenen liegen ein Deutscher und ein Franzose sterbend nebeneinander im Lazarett, sie können einander nicht sehen, nicht miteinander sprechen, aber – wie um einander Wärme zu spenden, um sich zu trösten – halten sie sich an der Hand. Hinter dem Schlusstitel „Ende“ erscheint ein Fragezeichen.

Auseinandersetzungen um die Erinnerung an den Krieg

Zu einem Zeitpunkt, als in Deutschland der Streit um die „richtige“ Erinnerung an den Krieg die Gesellschaft zerriss, diente der harte Realismus der Kriegsbilder in "Westfront 1918" dem Ziel, die wieder aufkeimenden Vorstellungen von nationaler Ehre, von Heldentod und Ruhm auf dem Schlachtfeld ad absurdum zu führen. Unterstützt wird dagegen der Kampf der einfachen, hungernden Leute gegen den Krieg. „Dieser Film ist (...) im Kampfe gegen den Krieg mehr wert als tausende von Büchern, Druckschriften und Artikeln“, stellte das liberale Berliner Tageblatt am 25. Mai 1930 fest, und der sozialdemokratische Vorwärts empfahl: „Der Film sollte all denen zwangsweise vorgeführt werden, die vom Stahlbad des Krieges faseln und zu neuem Völkermord hetzen. Der Regisseur Pabst hat (...) den dokumentarischen Kriegsfilm geschaffen, die stärkste Waffe für alle, die nie wieder Krieg wollen.“ (24.5.1930)

Von rechtsextremer, konservativer und deutschnationaler Seite wurde der Film scharf verurteilt. Die nationalsozialistische Zeitung Der Angriff bezeichnete "Westfront 1918" als „das Übelste und Unsittlichste, was seit langem in Deutschland geboten wurde“: „[E]s ist der Gipfel der Unanständigkeit, das größte und grauenhafteste Erlebnis eines Menschenalters, eines Jahrhunderts, vieler Jahrhunderte vielleicht, mit allen möglichen Einzelheiten ‚realistisch‘ nur als Schaustück vorzuführen und so zu erniedrigen, zu profanieren, zu entheiligen.“ (29.5.1930)

Auf "Westfront 1918" folgten in Deutschland bis 1933 mehrere bedeutende Weltkriegsfilme, die sich für Pazifismus und Völkerverständigung einsetzten wie etwa "Niemandsland" (1931) , sich der Rekonstruktion realer Kriegsereignisse widmeten wie "Douaumont"(1931) oder an ein eisernes Pflichtgefühlt und die Bereitschaft appellierten, niemals aufzugeben und das eigene Leben für Deutschland zu opfern, wie der U-Boot-Film "Morgenrot" (1932/33). Daneben liefen in den deutschen Kinos auch Kriegsfilme aus Amerika, Frankreich und Russland, die den Krieg aus einer anderen nationalen Perspektive schilderten.

Der heute noch berühmteste Kriegsfilm aus dieser Zeit ist die amerikanische Verfilmung von "Im Westen nichts Neues" unter dem Titel "All Quiet on the Western Front" (1930). Anders als in "Westfront 1918" gibt es in diesem Antikriegsfilm noch das Angebot an den Zuschauer, sich mit der Figur des Protagonisten zu identifizieren und die Ereignisse aus seiner Sicht mitzuerleben. Als der Film im Herbst 1930 auch in Deutschland herauskommen sollte, nahmen die bei den Reichstagswahlen erstarkten Nationalsozialisten das zum Anlass, nicht nur den Film und seine Macher, sondern auch die Weimarer Republik und die demokratische Ordnung insgesamt frontal anzugreifen. Der Weltkriegsfilm als Genre wurde damit zu einem Politikum. Es gelang den Nationalsozialisten, ein Bündnis gegen "All Quiet on the Western Front" zu schmieden, das von ganz rechts außen bis in die Mitte der Gesellschaft reichte: Dem organisierten Protest folgte das Verbot des Films, das erst Monate später wieder aufgehoben wurde.

Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen, wurden alle kriegskritischen Filme verboten, darunter auch "Westfront 1918". Wie ein Gegenentwurf zu "Westfront 1918" wirkt deshalb einer der ersten nationalsozialistischen Kriegsfilme, "Stoßtrupp 1917" (1934), der unter Mitwirkung der Sturmabteilung (SA) und der Reichswehr nach dem Buch "Der Glaube an Deutschland" (1931) des NSDAP-Mitglieds Hans Zöberlein (1895-1964) entstand und die antidemokratische "Dolchstoßlegende" zur Erklärung der Niederlage heranzog. Auch hier werden der Kampf und das Grauen an der Front realistisch dargestellt, doch vor allem erscheint der Weltkrieg als Schule für eine "neue Zeit", sprich: den Nationalsozialismus.

Philipp Stiasny
18. Dezember 2019

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