Jaspers war promovierter Mediziner und legte 1918 mit seiner "Allgemeinen Psychopathologie" ein bis heute benutztes Standardwerk der Psychiatrie vor. Die existentielle Frage rückte bei ihm in der Weimarer Republik in den Vordergrund, stand aber nicht im Zusammenhang mit der Weltkriegssituation 1914 bis 1918. Für Jaspers war die Existenzfrage ein persönliches Erlebnis, wurde ihm doch mit 18 Jahren eröffnet, wegen eines Herzleidens nur eine geringe Lebenserwartung zu haben. Die Gegenwart des Todes im täglichen Leben wurde zur Grunderfahrung seiner Philosophie: Die Überschreitung der Angst in den Grenzsituationen von Kampf und Tod führt das Ich erst zur Begegnung mit seiner eigentlichen Existenz.

Das Empfinden der Endlichkeit der Existenz prägte auch das Werk Martin Heideggers. Protegé des Phänomenologen Edmund Husserl (1858-1938), entwickelte er dessen Philosophie zu einer Fundamentalontologie weiter. Die ahistorische, auf ewige Wahrheiten ausgerichtete Phänomenologie Husserls wird von Heidegger in die Analyse des in die Zeit eingebundenen, endlichen Daseins umgebogen. Nachdem Heidegger bereits als Professor in Marburg lehrte, aber kaum etwas publiziert hatte, schlug sein Hauptwerk "Sein und Zeit" 1927 wie ein Blitz ein. Es galt als Revolutionierung der gesamten akademischen Philosophie. War er, wie Hannah Arendt zu seinem 80. Geburtstag 1969 im "Merkur" schrieb, in Marburg der "heimliche König im Reich des Denkens", so wurde er nun der unbestrittene Kopf der phänomenologischen Bewegung. Der emeritierte Husserl förderte die Berufung nach Freiburg auf seinen Lehrstuhl 1928. Trotz der väterlichen Freundschaft kühlte sich das Verhältnis von Heideggers Seite her ab, bis es 1933 gänzlich zerbrach. Heidegger trat der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) bei und wurde für ein Jahr Rektor der Freiburger Universität. Er verbot seinem ehemaligen Mentor den Zugang zu Universität und Bibliothek.

Wolfgang Scheuermann-Peilicke
22. Januar 2002

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