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Deutscher Republikanischer Reichsbund

Der Republikanische Reichsbund trat am 6. März 1921 mit einem überparteilichen Gründungsaufruf an die Öffentlichkeit. In den folgenden Jahren wurde eine weitgehende Vernetzung der demokratischen Zivilgesellschaft erreicht, die das Parteienspektrum der „Weimarer Koalition“ widerspiegelte. Der Reichsbund verstand sich als Dachverband für spezialisierte Vereine zur Demokratisierung des deutschen Staatswesens wie der Republikanische Richterbund oder der Republikanische Lehrerbund. Zum ehrenamtlichen Vorstand gehörten über die Jahre unter anderen Paul Löbe (SPD), Hermann Luppe (1874-1945; DDP), Hedwig Wachenheim (1891-1969; SPD) und Carl Spiecker (1888-1953; Zentrum).

Nachfolger des Republikanischen Führerbundes

Organisatorisch ging der Republikanische Reichsbund aus dem Republikanischen Führerbund hervor. Dieser hatte ab 1919 versucht, demokratisch gesinnte Militär- und Polizeioffiziere zu vernetzen, die sich mehrheitlich der SPD oder der DDP zugehörig fühlten. Innerhalb der Reichswehr wurden die Mitglieder des Führerbundes jedoch von ihren Vorgesetzten diskriminiert, wobei sie auch von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) keine Unterstützung erhielten. Dieser lehnte eine bevorzugte Beförderung von Mitgliedern des Führerbundes mit der Begründung ab, dass ein demokratisches Bekenntnis bei Offizieren einer „unpolitischen“ Armee nicht notwendig sei und im Gegenteil die Einheit der Truppe zu untergraben drohe. Im Zuge der schrittweisen Verkleinerung der Reichswehr aufgrund der Rüstungsbegrenzungen des Versailler Vertrages wurden die Mitglieder des Führerbundes nach und nach entlassen.

Demokratisierung durch spezialisierte Vereinsarbeit

Aufgrund dieser Erfahrungen entschlossen sich maßgebliche Persönlichkeiten des Führerbundes wie Erich Kuttner (1887-1942; SPD) zu einem Strategiewechsel. Wenn die Armee sich gegenüber ihren Demokratisierungsbemühungen abschottete, dann sollte zunächst die breitere Öffentlichkeit umworben und auf die Demokratisierung anderer staatlicher Institutionen hingewirkt werden. So war die Gründungsidee des Republikanischen Reichsbundes geboren, der sich als ziviler Ersatz für den Führerbund verstand. Ein wesentlicher Vorteil gegenüber dem Führerbund bestand darin, dass der Reichsbund auf einer breiteren Organisationsbasis agieren konnte. Die zu Beginn eher elitäre Organisation wuchs rasch auf mehrere Zehntausend Mitglieder an. Aber nicht nur ehemalige Soldaten und Offiziere, sondern auch demokratische Aktivistinnen und Aktivisten unterschiedlichster Couleur sammelten sich im Reichsbund. Später wurde eigens ein Republikanischer Jugendbund gegründet.

Unter dem Titel „Die Stunde“ erschien ab 1921 eine Vereinszeitschrift des Reichsbundes, die 1923 in „Deutsche Republik“ umbenannt wurde. Diese Zeitschrift diente den selbstgesteckten Zielen des Reichsbundes, zu denen die „Vertiefung des republikanischen Geistes“, die „Pflege einer republikanischen Staatsgesinnung“ und insbesondere die Förderung der Kooperation aller demokratischen Parteien und Organisationen gehörten. Zu diesem Zweck wurde eine reichsweite Organisation mit elf weitgehend unabhängig agierenden Landesverbänden aufgebaut. Neben der individuellen Mitgliedschaft im Reichsbund bestand die Möglichkeit eines korporativen Anschlusses von demokratisch eingestellten Organisationen. Auf diese Weise gelang im Reichsbund eine Bündelung von recht unterschiedlichen, aber komplementären Vereinen. So widmete sich beispielsweise der Deutsche Monistenbund als korporatives Mitglied des Reichsbundes der Verbreitung einer freidenkerischen Weltanschauung und der Diskussion ethischer Fragen. Der Reichsbund für Siedlung und Pachtung wiederum setzte sich für eine Bodenreform zur Stärkung des Kleinbauernwesens ein.

Verhältnis zum Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold

Als Dachverband der demokratischen Zivilgesellschaft war der Republikanische Reichsbund von der krisenhaften Verschärfung der Sicherheitslage unmittelbar betroffen. Nicht nur finanziell stand die Organisation während der Hyperinflation 1922/23 vor großen Herausforderungen, sondern auch die vermehrten gewaltsamen Übergriffe von politischen Gegnern zwangen den Reichsbund zu einer neuerlichen Anpassung seiner Strategie. Nun wurde auf lokaler Ebene mit dem Aufbau von Saalschutzverbänden begonnen, der beispielsweise in Bremen unter dem Namen „Vortrupp Reichsadler“ bestand. Diese Saalschutzverbände des Reichsbundes gingen 1924 im Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold auf, welches ebenfalls ein korporatives Mitglied des Reichsbundes wurde. Gleichzeitig verlagerten zahlreiche ehrenamtliche Funktionäre des Reichsbundes den Schwerpunkt ihres Engagements ins Reichsbanner, welches schnell zu einer Millionenorganisation anwuchs.

Zwar verfolgten beide Bünde dieselben demokratischen Ziele. Doch unterschieden sich Reichsbanner und Reichsbund hinsichtlich ihrer Organisationsarbeit deutlich. Der Reichsbund vermied ab 1924 jegliche paramilitärische Bestrebungen, die gewissermaßen an das Reichsbanner ausgelagert worden waren. Auch aufgrund der beträchtlichen personellen Überschneidungen kam es aber zu einer engen  Kooperation beider Bünde. Ein Zusammenschluss in einer einzigen Organisation, mit dem Reichsbanner als rein militärischer und dem Reichsbund als rein ziviler Säule, scheitert jedoch  aufgrund von personellen und finanziellen Differenzen. Fortan verstand sich der Reichsbund als das „geistige Reichsbanner“ und demokratische Persönlichkeiten, welche den militärischen Habitus des Reichsbanners skeptisch betrachteten oder als Frauen keine Aufnahme fanden, konnten sich im Reichsbund für die Republik engagieren.

Staatspolitische Themen und Vernetzung

1925 verstarben mit Konrad Haenisch (1896-1925; SPD) und Hugo Preuß (DDP) zwei der drei ehrenamtlichen Vorsitzenden des Reichsbundes. Daher und auch aufgrund der Abwanderung von Funktionären ins Reichsbanner kam die Organisationstätigkeit 1925 für kurze Zeit zum Erliegen. Schon im nächsten Jahr konnte sich der Bundesvorstand jedoch reorganisieren und eine prominent besetzte „Führertagung“ zur Frage des deutschen Föderalismus und der Idee einer grundlegenden Gebietsreform abhalten, wobei von Preuß ausgearbeitete Reformpläne die Diskussionsgrundlage bildeten. Auch in den weiteren Jahren erzielte der Reichsbund große Erfolge bei der „Sammlung“ – sprich Vernetzung – der demokratischen Zivilgesellschaft. Weitere Vereine wie die Republikanische Beschwerdestelle oder die Deutsche Liga für Menschenrechte schlossen sich dem Reichsbund korporativ an. 1931 wurde auf Initiative des Reichsbundes von 26 Organisationen das Kartell republikanischer Verbände gegründet. Hierdurch sollte angesichts der schweren politischen und wirtschaftlichen Krise das Organisationspotential der demokratischen Zivilgesellschaft besser mobilisiert werden.

Fazit

Zu den Problemen des Reichsbundes gehörte insgesamt, dass die stets angespannte Sicherheitslage der Weimarer Republik es dem rein zivil ausgerichteten Verein sehr erschwerte, öffentliche Aufmerksamkeit für die eigenen eher staatspolitischen Themen zu erzeugen. Anders als das mitgliederstarke Reichsbanner war der Reichsbund zudem auf öffentliche Zuwendungen und Spenden angewiesen. Als diese ab 1930 stark zurückgingen, litt auch die Organisationstätigkeit des Reichsbundes. Gleichwohl ermöglichte der Reichsbund es vergleichsweise kleinen demokratischen Vereinen, sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und Wissen wie Ressourcen zu teilen. Fortschrittlich war auch, dass ein Drittel des Vorstandes mit Frauen besetzt war, die im Reichsbund anders als im Reichsbanner somit auch in Führungspositionen tätig werden konnten. Ab dem Frühjahr 1933 wurden der Reichsbund und dessen Teilorganisationen schrittweise von den Nationalsozialisten verboten.

Sebastian Elsbach
6. Februar 2020

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