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Gewerkschaften in der Weimarer Republik

Im Rahmen der Burgfriedenspolitik wurden die im 19. Jahrhundert als Interessensorganisationen der Arbeitnehmerschaft zur Verbesserung ihrer Lohn- und Arbeitsbedingungen entstandenen Gewerkschaften mit dem Hilfsdienstgesetz von 1916 staatlich anerkannt. Durch einen beispiellosen Zulauf konnten die Gewerkschaften nach dem Ersten Weltkrieg ihre Mitgliederstärke gegenüber dem Vorkriegsstand verdreifachen und ihren gesellschaftlichen Einfluss ausbauen.

Unternehmer und Industrielle verdankten es nicht zuletzt den Gewerkschaftsführern, dass sie ihre politische und ökonomische Machtstellung nach 1918 behaupten konnten. Angesichts der von den Novemberereignissen 1918 ausgehenden revolutionären Stimmung erkannten auch die Arbeitgeber mit dem Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918 die Gewerkschaften als "berufene Vertreter der Arbeiterschaft" an. Mit dem Zugeständnis des Achtstundentages bei vollem Lohnausgleich und kollektiver Tarifverträge erfüllten sie die von den Gewerkschaften seit langem aufgestellten Hauptforderungen. Im Gegenzug verzichteten die Gewerkschaften auf die umgehende Sozialisierung der deutschen Wirtschaft. Zur Durchführung des Abkommens und zur Schlichtung aufkommender Meinungsverschiedenheiten wurde eine aus Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden paritätisch besetzte Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) gegründet.

Die von den Gewerkschaften angestrebte partnerschaftliche Kooperation mit den Arbeitgebern scheiterte allerdings bereits nach wenigen Jahren. Enttäuscht trat 1924 mit dem Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund (ADGB) der mitgliederstärkste und einflussreichste gewerkschaftliche Dachverband aus der ZAG aus, nachdem durch eine neue Arbeitszeitverordnung der Achtstundentag weitgehend seine Gültigkeit verloren hatte.

Hemmend wirkte sich für die ZAG auch die Spaltung der Gewerkschaftsbewegung aus. Die miteinander konkurrierenden Richtungsgewerkschaften waren Bestandteil verschiedener politischer Strömungen der Weimarer Republik. In programmatischer Nähe zur SPD stand der ADGB, von dem sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) tarif- und sozialpolitisch kaum unterschied. Trennendes Moment der seit 1919 im DGB vereinten Christlichen Gewerkschaften gegenüber dem ADGB war deren religiös und national geprägte Weltanschauung. Mit den Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereinen existierte darüber hinaus eine Arbeitnehmerorganisation, die einen sozialliberalen Wirtschaftsgedanken bewahrt sehen wollte.

Durch ihre Beteiligung am Generalstreik gegen den Lüttwitz-Kapp-Putsch 1920 gab ein Großteil der Gewerkschaften aller Richtungen ein Bekenntnis zur Weimarer Republik ab. Konsequent staatsbejahend allerdings waren nur der ADGB und die Gewerkvereine. Ein beachtlicher Teil der in Christlichen Gewerkschaften organisierten Arbeiter unterstützte zwar den Generalstreik und wirkte später im republikanischen Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold mit. Ein völkisch-national orientierter Flügel zweifelte jedoch stark, dass die parlamentarische Demokratie den vom DGB geforderten sozialen Volksstaat verwirklichen könne.

In der relativen Stabilisierungsphase bis Ende der zwanziger Jahre gelang es den Gewerkschaften, wichtige Erfolge in der Sozialpolitik - vor allem die Einführung der Arbeitslosenversicherung 1927 - zu erzielen. Seit 1925 verlangte der ADGB eine Demokratisierung der Unternehmen durch Mitbestimmung der Belegschaften in zentralen wirtschaftlichen Entscheidungsprozessen. Die Etablierung einer "Wirtschaftsdemokratie" und die geplante schrittweise Überwindung des kapitalistischen Wirtschaftssystems durch eine sozialistische Gemeinwirtschaft scheiterten hingegen am entschlossenen Widerstand der Arbeitgeber.

Dramatische Vertrauens- und Mitgliederverluste verdeutlichten die Grenzen gewerkschaftlichen Einflusses in der Weltwirtschaftskrise ab 1929. Nachdem die Große Koalition im März 1930 an der Reform der Arbeitslosenversicherung scheiterte, standen die Gewerkschaften nahezu ohnmächtig dem Ende des Parlamentarismus und der Einsetzung von Präsidialkabinetten gegenüber. Die Gründungen der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO) und der kommunistischen Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO) waren auch auf Gewerkschaftsebene Ausdruck einer sich steigernden politischen Polarisierung. ADGB, DGB und Gewerkvereine waren sich zwar in der Ablehnung des Nationalsozialismus einig. Allerdings besaßen sie nicht die gesellschaftliche Stellung, um der Machtübernahme der Nationalsozialisten entgegenzuwirken. Die Zerschlagung der Gewerkschaften durch das NS-Regime 1933 bedeutete schließlich das Ende unabhängiger Interessenorganisationen der Arbeitnehmerschaft.

Arnulf Scriba
14. September 2015

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