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Lion Feuchtwanger: Erfolg. Drei Jahre Geschichte einer Provinz

Der Roman von Lion Feuchtwanger erschien 1930 als erster Teil des Zyklus "Der Wartesaal". Als weitere Teile erschienen "Die Geschwister Oppenheim" (1933) und "Exil" (1940). In den Romanen beschreibt Feuchtwanger den "Wiedereinbruch der Barbarei in Deutschland und ihren zeitweiligen Sieg über die Vernunft". Intendiert wird eine Art Rechenschaftsbericht an die "Spätgeborenen", damit diese begreifen, "warum wir so lange zuwarteten, ehe wir die einzig vernünftige Schlußfolgerung zogen, die nämlich, der Herrschaft der Gewalt und des Widersinns unsererseits mittels Gewalt ein Ende zu setzen und an ihrerstatt eine vernünftige Ordnung herzustellen" (Nachwort zum Roman "Exil"). Ursprünglich war daher auch noch ein vierter Roman vorgesehen, der von der "Rückkehr" nach Deutschland handeln sollte.

Der Roman "Erfolg" (1930) trägt den Untertitel "Drei Jahre Geschichte einer Provinz". Zu Beginn der zwanziger Jahre wird der fortschrittliche, revolutionär gesinnte Kunsthistoriker und Subdirektor der staatlichen Sammlungen zu München, Dr. Martin Krüger, von den reaktionären und erzkonservativen Kräften des Landes Bayern in einen Meineidsprozeß verwickelt und zu Unrecht zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Seine resolute Freundin Johanna Krain sucht mit Hilfe einiger Freunde seine Freilassung zu erwirken. Einer ihrer schlimmsten Gegenspieler ist der bayerische Justizminister Otto Klenk, der nahezu "die nackte Gewalt" verkörpert. Krüger, der die Inhaftierung nach anfänglichem Widerstreben ziemlich gelassen erträgt, gerät zusehends in eine schlechte körperliche Verfassung und stirbt schließlich kurz vor seiner durch amerikanischen Einspruch bewirkten Entlassung an einem Herzleiden. Zusammen mit dem von einer "humanisierten Vernunftgläubigkeit" beseelten schweizerischen Schriftsteller Jacques Tüverlin - er trägt autobiographische Züge Feuchtwangers - will Johanna Krain durch einen in den USA gedrehten Film die deutsche Öffentlichkeit auf die verhängnisvolle "Politisierung der Justiz" aufmerksam machen, deren Opfer Krüger geworden ist.

Um diese Hauptgestalten gruppieren sich zahlreiche Nebenfiguren aus den verschiedensten sozialen Schichten, die den korrupten Provinzialismus Bayerns ("Das Land Bayern ist der eigentliche Herd meines Romans") und die wachsenden faschistischen Tendenzen widerspiegeln, wobei sich hinter vielen Akteuren Persönlichkeiten der Zeitgeschichte verbergen. In den Figuren des naiven Dr. Pfisterer und seines Gegenspielers, des Opportunisten Lorenz Matthäi, sind unschwer die Schriftsteller Ludwig Ganghofer und Ludwig Thoma (1867-1921) zu erkennen, während Adolf Hitler in der Gestalt des hysterisch-eloquenten Kleinbürgers Kutzner erscheint, dessen Auftritte in verräucherten Wirtshaussälen samt seinem Putschversuch eher als folkloristische Groteske denn als politische Bedrohung wirken. Es ist der Einbruch des Industriezeitalters in das agrarisch geprägte Land, das die Bewohner der "bayerischen Hochebene" verunsichert. Ganz durchschaut die gesellschaftliche Wirklichkeit offenbar nur der später in die Sowjetunion reisende Freund Krügers, der junge, sozialrevolutionär eingestellte Ingenieur und Balladendichter Kaspar Pröckl (er hat Ähnlichkeit mit dem jungen Bert Brecht). Die locker aneinandergereihten Kapitel, die zwischen prallen Erlebnisschilderungen und distanziert-theoretischen Kommentaren zum Zeitgeschehen alternieren, fügen sich zu einer kritischen Bestandsaufnahme einer Krisenzeit, auf die vor allem Intellektuelle und Künstler aufklärerisch zu reagieren haben: "Ich für meine Person glaube", so konstatiert Jacques Tüverlin," das einzige Mittel, [die Welt] zu ändern, ist, sie zu erklären. Erklärt man sie plausibel, so ändert man sie auf stille Art, durch fortwirkende Vernunft."

Am Ende des Romans stehen schließlich drei Versuche einer solchen Erklärung: Otto Klenks Autobiographie, Tüverlins "Buch Bayern" und Johanna Krains Film über das Schicksal Martin Krügers: die "Intellektuellen- und Künstlerproblematik ist das eigentliche Thema des Romans". Neben Tüverlin ist es der aufgeklärt amerikanische Unternehmer Potter, der die materiellen Mittel zur Lösung der gesellschaftlichen Konflikte besitzt: Die Dollars des sachlich kalkulierenden Kunstfreunds können Martin Krüger zwar nicht ins Leben zurückholen, sie machen aber den 'Wahrhaft Deutschen' Rupert Kutzners ihren Massenanhang und ihre hochgestellten Förderer in Politik und Wirtschaft abspenstig. Der Amerikanismus, eine Mischung aus organisiertem Kapitalismus und kultureller Modernisierung bietet sich an als Modell krisenhafter Konfliktlösung auf ökonomischer und politischer Ebene.

(Kindlers Neues Literaturlexikon, Kindler Verlag, München)

17. September 2014

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