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    Propagandaplakat der Waffen-SS, 1942

> Der Zweite Weltkrieg > Kriegsverlauf

Das deutsche Besatzungsregime in den Niederlanden

Wenige Tage nach der Flucht von Königin Wilhelmina (1880-1962) mit der Regierung nach London und der vollständigen Besetzung des Lands wurde am 29. Mai 1940 Arthur Seyß-Inquart zum Reichskommissar für die besetzten Niederlande ernannt. Mit Hilfe der allerdings wenig einflussreichen Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) unter Führung von Anton Adriaan Mussert (1894-1946) sollte das "artverwandte germanische Volk" der rund 8,8 Millionen Niederländer systematisch nazifiziert und nach dem deutschen "Endsieg" in ein Großgermanisches Reich integriert werden. Unterstützt vom deutschen Wehrmachtsbefehlshaber in den Niederlanden, General Friedrich Christiansen (1879-1972), führte Seyß-Inquart als Leiter der Zivilverwaltung eine zunächst zurückhaltende, ab 1941 jedoch zunehmend repressive Besatzungspolitik.

Gekennzeichnet war diese Politik vor allem durch die wirtschaftliche Ausbeutung der Niederlande, die vor dem Zweiten Weltkrieg zu den größten Nahrungsmittelexporteuren Europas gehörten. Hunderttausende Niederländer arbeiteten zumeist als Zwangsarbeiter im Deutschen Reich. Viele Dienstverpflichtete entzogen sich der Aufforderung zum Arbeitseinsatz erfolgreich durch Untertauchen. Zehntausende Freiwillige hingegen bildeten die "Division Nederland" der Waffen-SS.

Die verschärfte Repressionspolitik und Diskriminierungen von Juden, die rund 1,5 Prozent der niederländischen Bevölkerung ausmachten, führten ab 1941 zu verstärktem Widerstand gegen die deutschen Besatzer. Nach der Deportation von 425 Amsterdamer Juden in das Konzentrationslager (KZ) Mauthausen folgten Ende Februar 1941 hunderttausende Niederländer einem Aufruf der illegalen Kommunistischen Partei zu einem Solidaritätsstreik mit der jüdischen Bevölkerung. Die in den Niederlanden besonders ausgeprägte Verfolgungspolitik der Besatzungsmacht aber auch die Kollaboration vieler Niederländer und eine intensive Zusammenarbeit der niederländischen mit den deutschen Behörden ermöglichten die Erfassung nahezu sämtlicher 140.000 in den Niederlanden lebenden Juden. 

Rund 107.000 Juden wurden in die Vernichtungslager deportiert, die nur 5.000 von ihnen überlebten. Für die Nationalsozialisten verliefen die Judenverfolgung und die im Sommer 1942 begonnenen Massendeportationen in den Niederlanden weit "erfolgreicher" als anderswo in Westeuropa. Zu den Opfern der Deportationen gehörte auch die aus Deutschland emigrierte jüdische Familie Frank. Sie hatte sich zwei Jahre lang in einem Hinterhaus versteckt, bevor sie 1944 verhaftet wurde. Die Tochter Anne Frank wurde nach Kriegsende zu einer Symbolfigur des Völkermords an den Juden. Ihr Tagebuch mit Eintragungen über das Leben im Versteck wurde 1950 auf Deutsch veröffentlicht.

Mit dem alliierten Vormarsch in Frankreich und in Belgien 1944 stand auch die Befreiung der Niederlande unmittelbar bevor. Doch im Winter 1944/45 stabilisierte sich die deutsche Westfront noch einmal. Erst im April 1945 konnten kanadische Einheiten weite Teile der Niederlande befreien. Die kanadische 1. Armee war in den Norden des Lands und in das angrenzende deutsche Reichsgebiet eingedrungen. Damit schnitten sie die Wehrmachtstruppen in Westholland von ihren rückwärtigen Verbindungen ab. Da die eingeschlossenen deutschen Truppen drohten, Deiche zu sprengen und Teile des Lands zu fluten, wurde das weitere militärische Vorgehen der Alliierten in den Niederlanden ausgesetzt. Erst nachdem der deutsche Militärbefehlshaber General Johannes Blaskowitz die Aussichtslosigkeit der Lage erkannte und Anfang Mai 1945 kapitulierte, konnte die Hunger leidende niederländische Bevölkerung mit Lebensmitteln versorgt werden.

Arnulf Scriba
19. Mai 2015

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