• ba108373

    Die Wehrmachtsoldaten vor Moskau, 1941

Der am 22. Juni 1941 begonnene Krieg gegen die Sowjetunion war ein Bewegungskrieg mit ständig wechselnden Fronten. Von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer auf einer Länge von knapp 1.600 Kilometern erstreckte sich der Frontabschnitt bei Angriffsbeginn. Zentraler Bestandteil der deutschen Kriegsführung war die Einkesselung gegnerischer Truppen durch keilförmige Panzervorstöße in deren Rücken. Jeweils Hunderttausende von Rotarmisten gerieten nach einer Reihe von Kesselschlachten zu Beginn des Feldzugs in deutsche Kriegsgefangenschaft. Aber schon nach den ersten siegreichen Schlachten hatte die Wehrmacht an der Ostfront mehr Verluste zu beklagen, als im gesamten Kriegsverlauf zuvor. Die Mobilität der Panzerwaffe und motorisierter Einheiten sowie der Einsatz der Luftwaffe erlaubten ihr jedoch gewaltige Raumgewinne. Innerhalb eines halben Jahrs stieß sie über 1.200 Kilometer nach Osten bis Moskau vor. 

 

In den besetzten Gebieten im Rücken der Ostfront ermordeten deutsche Einsatzgruppen Juden, Kommunisten sowie Sinti und Roma. Zudem tobte ein erbitterter Partisanenkrieg, der von beiden Seiten mit einem Höchstmaß an Brutalität geführt wurde. Die Konfrontation mit der Vernichtung und eine in jeglicher Hinsicht einsetzende Radikalisierung bestimmten in einem nicht unerheblichen Maß das Frontleben der Soldaten im Osten.

Der Frontverlauf im Norden der Sowjetunion war zwischen 1942 und 1944 nur unbedeutenden Veränderungen unterworfen. Im Gegensatz zum Nordabschnitt war der mit den Ölvorkommen kriegswirtschaftlich bedeutendere Südabschnitt der Ostfront von einer ständigen Bewegung gekennzeichnet. Die größte Ausdehnung erreichte der deutsche Machtbereich im Spätsommer 1942 mit dem Vorstoß in den Kaukasus und zum Don. Für einen überdehnten Frontverlauf von über 2.000 Kilometern Länge reichten jedoch die deutschen Kapazitäten und Reserven nicht aus. Während die Sowjets über kurze Nachschubwege verfügten, litten die Deutschen aufgrund der riesigen Distanzen und der ständigen Partisanenanschläge auf Eisenbahnverbindungen unter unzureichender Verpflegung und Ausrüstung. Unaufhaltsam verschob sich die Ostfront ab Frühjahr 1943 nach Westen. Auch der gemäß dem Befehl der Wehrmachtsführung von deutschen Truppen durchgeführte Rückzug der "verbrannten Erde" war ein vergeblicher Versuch, den sowjetischen Vormarsch aufzuhalten. Zu Beginn ihrer Sommeroffensive 1944 stand die Rote Armee in etwa auf der Linie, von der aus die deutschen Truppen drei Jahre zuvor den Angriff begonnen hatten. Ein knappes Jahr später verlief die Ostfront entlang der Außenbezirke von Berlin.

Sehr viel besser als die deutschen kamen die sowjetischen Soldaten mit den extremen klimatischen Bedingungen an der Ostfront zurecht. Hitze, Wassermangel und riesige Staubwolken beanspruchten Menschen und Material im Sommer auf das Äußerste. Starke Regenfälle und Schneeschmelze verwandelten die unbefestigten Straßen im Herbst und Frühjahr in unpassierbare Schlammwüsten. Während der Schlammperioden erstarrten die Fronten zu Stellungskriegen. Lastkraftwagen und selbst Panzer blieben im knietiefen Morast stecken. Pferdefuhrwerke stellten über Wochen nahezu die einzigen einsatzfähigen Transportmittel dar.

Vor allem aber die Kälte und frostige Schneestürme im Winter zehrten die bis an die Grenzen ihrer physischen und psychischen Belastbarkeit erschöpften deutschen und sowjetischen Soldaten aus. In Erwartung eines schnellen Sieges war die Wehrmacht im ersten Jahr in keiner Weise für einen Winterkrieg gerüstet. Bei eisigen Temperaturen von unter minus 40 Grad versagten Motoren und automatische Waffen. Über Fellhandschuh sowie warme Pelzmäntel und Mützen verfügte im Winter 1941/42 allein die Rote Armee. Erst in den nachfolgenden Jahren war auch die Wehrmacht ausreichend mit weißen Tarnanzügen, Filzstiefeln oder Schneeschuhen ausgerüstet. Die in den Wintermonaten 1942/43 gelieferten Feldöfen waren zumeist eine nur unzureichende Wärmequelle. Hunderttausende starben in ungeschützten Erdlöchern qualvoll an Erfrierungen oder Entkräftung. Aufgrund des gefrorenen Bodens konnten ihre Leichen im Winter ebensowenig bestattet werden wie unzählige Gefallene, die während wechselseitiger Vormärsche und überstürzter Rückzüge im weiten Gelände liegen blieben und als "Vermisste" in die Statistiken aufgenommen wurden. Über 3,8 Millionen Deutsche starben an der Ostfront, weit mehr als zwei Drittel sämtlicher getöteten deutschen Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Allein 800.000 von ihnen fielen in den letzten vier Kriegsmonaten.

Arnulf Scriba
19. Mai 2015

lo