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    Die nach Bombenangriff zerstörte Universität in Hamburg, 1945

> Der Zweite Weltkrieg > Wissenschaft, Forschung und Technik

Universitäten und Studierende im Zweiten Weltkrieg

Jahrzehntelang gehörten die deutschen Hochschulen zu den prestigeträchtigsten Institutionen des Deutschen Reiches und dienten in vielen Ländern als Vorbild für ähnliche Einrichtungen. Eine der Grundüberzeugungen der deutschen Hochschullehrenden war es, dass Wissenschaft und Politik, vor allem Parteipolitik, zwei grundsätzlich voneinander getrennte Bereiche bilden. Dass es trotzdem zu einer kampflosen Kapitulation der deutschen Wissenschaftler im Jahr 1933 kam, gehört wohl zu den größten Paradoxien der Hochschulgeschichte. Tatsächlich haben die Universitäten in ihrer Gesamtheit keine ernsthaften Versuche unternommen, den Eingriffen des NS-Regimes Einhalt zu gebieten, und zahlreiche Hochschullehrende haben sich in den folgenden Jahren erheblich kompromittiert. Gerade die Studierenden wandten sich sehr früh und mit besonderem Enthusiasmus dem Nationalsozialismus zu, weshalb sie heute als "Motor der universitären Gleichschaltung" gelten. Im Kampf um die Hochschule standen sich Anfang der 1930er Jahre somit zwei ungleiche Gegner gegenüber: auf der einen Seite die nationalsozialistisch-völkische Studierendenbewegung, auf der anderen Seite einzelne linke, demokratische, jüdische oder pazifistische Professoren und Dozenten, die nur in Ausnahmefällen über Rückhalt in der Hochschullehrerschaft verfügten.

Die Universitäten sahen sich vermehrt dem politischen Druck von zwei Seiten ausgesetzt; parteipolitische und soziale Konflikte griffen von außen auf sie über und von innen wurden diese zunehmend durch die militante Rechte im Studentenmilieu destabilisiert. Zu den Höhepunkten im Kampf um die Hochschulen gehörten die von Studierenden deutschlandweit organisierten Bücherverbrennungen sowie die Boykottaufrufe gegen einzelne jüdische oder politisch unliebsame Professoren und Dozenten, die letztlich noch im Sommersemester 1933 zu erheblichen Massenentlassungen an den Hochschulen führten und die weitgehend widerspruchslos hingenommen wurden.

In den nachfolgenden Jahren erließ das NS-Regime eine Vielzahl weiterer hochschulpolitischer Maßnahmen, die sich an den Grundprinzipien der NS-Ideologie orientierten und die das Gesicht der deutschen Universitäten tiefgreifend veränderten. Obwohl es keine zentrale Steuerung von Hochschule und Wissenschaft gegeben hat und mehrere Ministerien und Parteiorganisationen um die Vormacht im Hochschulsektor stritten, lassen sich fünf politische Leitlinien feststellen, mit denen die Universitäten bis Kriegsende konfrontiert wurden: Dazu gehörte die Vertreibung "nichtarischer" und politisch unliebsamer Hochschullehrer und Studierender, die Beseitigung sämtlicher demokratischer Entscheidungsstrukturen durch die Einführung des "Führerprinzips", die Aufwertung der Nichtordinarien, die Einrichtung politisch relevanter Lehrstühle (zum Beispiel Rassenkunde, Eugenik, Volkskunde und Vorgeschichte) sowie eine Personalpolitik, bei der neben dem Kriterium der fachlichen Leistung auch die "Rasse" und die politische Gesinnung eine Rolle spielten.

Einen grundlegenden Einschnitt in das deutsche Hochschulwesen bedeutete freilich der Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939, der eine erhebliche Beeinträchtigung von Forschung und Lehre zur Folge hatte. Vor allem in den Anfangsjahren wurde ein großer Teil der jüngeren Wissenschaftler und Studenten von der Wehrmacht eingezogen, wodurch sich auch die Zusammensetzung der Studentenschaft wandelte. In den Hörsälen dominierten ab 1941/42 verstärkt die sogenannten Soldatenstudenten, die disziplinarisch und gerichtlich nicht den akademischen, sondern den Militärbehörden unterstanden und zum Studium kriegswichtiger Fächer wie Medizin, Chemie oder Technik abkommandiert worden waren. Für die Universitäten waren diese Studentenkompanien von wesentlicher Bedeutung: Zum einen rekrutierte sich aus ihnen die überwiegende Mehrheit der örtlichen Studierenden, und zum anderen leisteten ihre Angehörigen vor allem im Rahmen der alliierten Luftangriffe einen wirksamen Schutz bei der Bekämpfung der Brandbomben und stellten zudem eine wertvolle Hilfe bei der Bergung wissenschaftlicher Einrichtungen dar. Gleichzeitig nahm die Zahl der Studentinnen deutlich zu und gegen Kriegsende herrschte ein fast paritätisches Verhältnis.

Daneben büßte der Enthusiasmus, mit dem die Mehrheit der Studierenden den Aufstieg des Nationalsozialismus begrüßt beziehungsweise herbeigesehnt hatte, sukzessive an Breitenwirkung ein, wofür verschiedene Ursachen verantwortlich zeichneten: Neben der Zerstörung des traditionellen Korporationswesens spielten vor allem die hohe Belastung der Studierenden durch politische Veranstaltungen, die anhaltenden Angriffe der NSDAP gegen die christlichen Kirchen und der schrittweise einsetzende Generationenwechsel an den Hochschulen eine wichtige Rolle. Besonders jene Studierenden, die ab 1938/39 ein Studium aufnahmen, hatten in der Regel kein Interesse an politischen Aktivitäten, sondern wollten in erster Linie den verbliebenen Rest an "studentischer Freiheit" genießen. Die Jahre in der Hitlerjugend, die ideologische Indoktrination in den deutschen Klassenzimmern sowie der vor Studienbeginn obligatorische Arbeits- und Wehrdienst hatte das Gros der Studienanfänger vielfach vom NS-Regime distanziert. Gleichwohl ein großer Teil dieser Studierenden dem Nationalsozialismus also skeptisch gegenüberstand, existierte doch ein gewisser nationalistischer Grundkonsens, der den aktiven Widerstand gegen die eigene Regierung während des Krieges ausschloss. So verwundert es auch nicht, dass die bekannteste Widerstandsgruppe im studentischen Milieu, die "Weiße Rose" in München, von der Mehrheit der Studierenden isoliert blieb.

Auch in anderer Hinsicht war der Kriegsbeginn von Bedeutung, da zunächst alle Hochschulen durch ministerielle Anordnung geschlossen worden waren und das Wintersemester 1939/40 faktisch zu einem Nicht-Semester mutierte. Angesichts der nur zögerlichen Wiedereröffnung einzelner Großstadtuniversitäten kursierte im akademischen Milieu sogar das Gerücht der temporären oder permanenten Schließung von einzelnen Hochschulen, in ihrer Gesamtheit oder hinsichtlich ausgewählter Einrichtungen - wie etwa von Theologischen Fakultäten. Erst mit dem Beginn des 1. Trimesters 1940, das am 8. Januar startete, kehrten die Hochschulen vorübergehend zu einer gewissen Scheinnormalität zurück. In den besetzten Territorien kam es bald darauf sogar zur Neugründung oder Übernahme bestehender Universitäten, wobei in erster Linie den sogenannten Reichsuniversitäten in Posen, Prag und Straßburg bestimmte Funktionen zugedacht waren: die erzwungene Durchsetzung partikularer Konzepte und Ideen, die Umsetzung von NS-Herrschaftsstrukturen sowie die Etablierung von Deutungsmacht über wissenschaftliche Disziplinen, Methoden und Erkenntnisse.

Aber auch im Deutschen Reich unternahm das NS-Regime vielfältige Anstrengungen, um die Wissenschaft stärker für die Zwecke des Krieges nutzbar zu machen. So sollte der von Paul Ritterbusch in Kiel initiierte und bald von Berlin aus zentral gesteuerte "Kriegseinsatz der Geisteswissenschaften" die im Grunde als nicht kriegsrelevant eingestuften Disziplinen der Geistes- und Sozialwissenschaften für unterschiedliche Kriegsforschungen mobilisieren. Daneben bestand vor allem in der Rüstungsforschung eine große Bereitschaft, an der nationalsozialistischen Eroberungspolitik auf wissenschaftlicher Ebene zu partizipieren - Kriegsforschung galt vielen als "patriotische Pflicht". Allerdings lässt sich keineswegs von einer vollständigen Indienstnahme der naturwissenschaftlichen oder technischen Fächer sprechen, da das Regime zu spät den potentiell kriegsentscheidenden Faktor der Wissenschaft erkannte und bis 1942/43 weitgehend kopflos handelte. Die Einberufung zahlreicher jüngerer Techniker und Naturwissenschaftler zur Wehrmacht, die dort abseits ihrer fachlichen Qualifikation Verwendung fanden, legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Eine interne Untersuchung des Reichsforschungsrates vom Februar 1943 kam sogar zu dem ernüchternden Ergebnis, dass an den Universitäten und Technischen Hochschulen zwischen 50 und 80 Prozent des militärisch relevanten Forschungspotentials brachlag.

Doch obwohl ab Ende des Jahres 1942 die finanziellen Mittel für die kriegswichtige Forschung erheblich aufgestockt wurden und die Wehrmacht ab Dezember 1943 zusätzlich etwa 2.000 Wissenschaftler entließ, konnten diese hektischen Bemühungen den weiteren Verlauf des Krieges nicht mehr wirklich beeinflussen. Die Maßnahmen wurden letztlich zu spät umgesetzt und durch den Kriegsverlauf überdies torpediert. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits viele universitäre Institute, Labore und sonstige Einrichtungen den alliierten Luftangriffen zum Opfer gefallen und auch der allgegenwärtige Mangel an Personal, Fahrzeugen, Chemikalien und Treibstoff behinderte eine effiziente Umsetzung der kriegsrelevanten Forschung in hohem Maße.

Martin Göllnitz
23. April 2020

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