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    Sonderheft "Deutsches Land Österreich", 1938

> NS-Regime > Außenpolitik

Österreich 1938-1945

Als am 3. April 1938 in Wien ein lang geplantes Fußballspiel zwischen den Auswahlmannschaften Österreichs und Deutschlands stattfand, sollte diese nur drei Wochen nach dem "Anschluss" Österreichs ausgetragene Partie ganz im Zeichen der propagierten Zustimmung zur Eingliederung der Alpenrepublik in das Deutsche Reich stehen. Die Vertretung der neu bezeichneten "Ostmark" trat aber nicht im traditionellen Weiß-Schwarz an, sondern symbolhaft in den österreichischen Nationalfarben Rot-Weiß-Rot. Die spieltechnisch überlegenen Österreicher gewannen das so genannte Anschlussspiel 2:0, wobei Matthias Sindelar (1903-1939), der Schütze des ersten Tores, seinen Treffer demonstrativ vor der mit hochrangigen NS-Politikern besetzten Ehrentribüne bejubelte. Viele Österreicher empfanden tiefe Genugtuung über den Sieg und über Sindelars als Schmähung bewertete Freude, was als Ausdruck bewusster Ablehnung gegenüber dem erzwungenen, bei einem Großteil der rund 6,9 Millionen Österreicher aber freudig begrüßten "Anschluss" interpretiert wurde. Wie zahlreiche Deutsche und Österreicher profitierte nur vier Monate nach dem Fußballspiel jedoch auch der gefeierte Matthias Sindelar in Kooperation mit den neuen Machthabern schamlos von der NS-Arisierungspolitik: Nach massivem Druck musste ein jüdischer Kaffeehausbesitzer sein Lokal im August 1938 weit unter Wert an das österreichische Fußballidol Sindelar verkaufen.

"Arisierung" und antisemitische Gesetzgebungen waren nach dem "Anschluss" an das Deutsche Reich in kürzester Zeit auf Österreich übertragen worden. Vor allem in Wien, wo 1938 rund 167.000 der etwa 182.000 österreichischen Juden lebten, setzte die Misshandlung der jüdischen Bevölkerung unmittelbar ein. Nationalsozialisten zwangen Juden dazu, in demütigen "Reibepartien" unter dem Beifall zahlreicher Schaulustiger antinationalsozialistische Losungen von Hauswänden und Straßen zu entfernen oder jüdische Geschäfte mit antijüdischen Parolen zu kennzeichnen. Am 26. August 1938 wurde in Wien die Zentralstelle für jüdische Auswanderung eingerichtet. Als deren Leiter hatte der vom Judenreferat des Sicherheitsdienstes (SD) nach Wien abkommandierte Adolf Eichmann die Aufgabe, die Auswanderung der Juden zu koordinieren und zu forcieren. Ende 1939 hatten auf Druck Eichmanns über 100.000 Juden unter Einziehung ihres Vermögens die Heimat verlassen, rund 30.000 weitere folgten bis 1941.

Die Verfolgungsmaßnahmen trafen von Anfang an auch die in Österreich lebenden Sinti und Roma sowie die politischen Gegner der Nationalsozialisten wie Sozialdemokraten, Sozialisten und Kommunisten, aber auch Christlichsoziale und Monarchisten. Wer nicht rechtzeitig emigrieren wollte oder konnte, dem drohten Verhaftung, langjährige Inhaftierung oder der Tod. Erste Häftlinge aus Österreich wurden dem Konzentrationslager (KZ) Dachau am 1. April 1938 überstellt, unter ihnen Künstler wie der Schriftsteller Jura Soyfers (1912-1939), der damals bekannte Kabarettist Fritz Grünbaum (1880-1940), der Librettist und Schlagertexter Fritz Löhner-Beda (1883-1942) und der Autor Viktor Matejka (1901-1993). Ab August 1938 wurden Häftlinge auch in das neu errichtete KZ Mauthausen in der Nähe von Linz inhaftiert. Der Schriftsteller Egon Friedell entzog sich einer Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei (Gestapo) am 16. März 1938 durch Selbstmord. Andere Literaten und Publizisten wie Robert Musil, Elias Canetti, Friedrich Torberg (1908-1979) oder Hans Weigel (1908-1991) emigrierten wie auch rund 1.500 weitere Schriftsteller und Journalisten sowie Tausende andere Österreicher.

Politik, Kultur und Presse waren einer radikalen Gleichschaltung unterworfen. Im Zusammenspiel von Terror und Propaganda festigten die Nationalsozialisten ihre Macht in Österreich, wo die Symbole der Republik verboten und rasch entfernt wurden. Unter der maßgeblichen Führung des kommissarischen Leiters der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Österreich und "Reichskommissars für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich", Josef Bürckel (1895-1944), wurde das Land als "Ostmark" politisch, wirtschaftlich und kulturell vollkommen in das Deutsche Reich eingegliedert. Die Schilling-Banknoten verloren ihre Gültigkeit als gesetzliches Zahlungsmittel schon am 26. April 1938, Münzen wurden nach und nach aus dem Zahlungsverkehr gezogen. Die Übernahme von deutschen Reichsgesetzen und Verordnungen beinhaltete auch das Verbot, für Verhütungsmittel zu werben. Wie im "Altreich" ab 1933 sollten auch in Österreich gezielt Eheschließungen und damit vor allem der Geburtenanstieg gefördert werden, unter anderem mit Ehestandsdarlehen und der Einführung der obligatorischen Zivilehe am 1. August 1938. Tatsächlich stieg die Zahl der Geburten von 1937 bis 1940 von 92.000 auf 154.000.

Die NS-Propaganda wurde nicht müde, die Eingliederung auch aus rassenpolitischer Perspektive als "natürliche" und seit langem überfällige Einigung zu legitimieren. Darstellungen lichtspendender Hakenkreuze am Himmel über bekannten Orten in Österreich nahmen den Charakter pseudo-religiöser Heilsversprechungen an. Im Mittelpunkt der propagandistischen Anstrengungen stand der gebürtige Österreicher Adolf Hitler, der seine Heimat nun "Heim ins Reich" geholt hat. Die Darstellungen von Hitlers Besuch am Grab seiner Eltern in Leonding bei Linz am 13. März 1938 sollten die Emotionalität des Ereignisses unterstreichen. Emotional-patriotisches Andenken an Österreich und ein identitätsstiftendes Sonderbewusstsein in der Bevölkerung sollten dagegen unter allen Umständen unterbunden werden. Das neue Reichsgebiet durfte im amtlichen Verkehr zunächst nur als "Ostmark" bezeichnet werden, 1942 erhielt es die Sammelbezeichnung "Alpen- und Donaureichsgaue". Der Begriff "Österreich" verschwand zumindest aus dem offiziellen Sprachgebrauch, auch wenn beispielsweise das "Institut für Österreichische Geschichtsforschung" aufgrund von Protest des bekannten Historikers Heinrich Srbik (1878-1951) seinen Namen beibehalten durfte. Die Bundesländer Nieder- und Oberösterreich wurden zu den Gauen Ober- und Niederdonau ernannt, daneben existierten die Gaue Wien, Kärnten, Salzburg, Steiermark und Tirol. Der beliebte Fußballverein Austria Wien wurde nach dem Ausschluss seiner zahlreichen jüdischen Mitglieder kurzzeitig in Ostmark Wien umbenannt, durfte jedoch noch im Sommer 1938 zu seinem alten Namen zurückkehren. Weniger Probleme hatten die NS-Funktionäre mit dem First Vienna Football Club, der seinen englischen Vereinsnamen behielt und 1943 den deutschen Pokal gewann. Noch erfolgreicher war Rapid Wien, die als einzige aus Österreich stammende Mannschaft 1941 den Gewinn der deutschen Meisterschaft feiern konnte.

Von 1938 bis 1942 steigerte sich die Mitgliederzahl der NSDAP von rund 127.000 auf über 688.000 Österreicher. Durch als positiv empfundene Veränderungen nach März 1938 hatten sich auch viele dem "Anschluss" reserviert gegenüberstehende Österreicher vergleichsweise schnell mit dem NS-Regime arrangiert. Die Umstellung der Währung mit einem günstigen Umrechnungskurs von 1,5 Schillingen anstatt des marktüblichen Kurses von 2,15 Schillingen zu 1 Reichsmark steigerte das Realeinkommen. Viele Österreicher profitierten direkt von der zumindest bis 1941 wachsenden Zahl von Touristen aus dem "Altreich", die privat oder aber mit Programmen der "Kraft durch Freude" (KdF) die Alpen- und Donauregionen besuchten. 1938 führte jede zehnte, ein Jahr später schon jede zweite KdF-Reise nach Österreich, das zum beliebtesten Reiseziel im Deutschen Reich avancierte. Ganz bewusst wurde der Massentourismus auch im Sinne der "Volksverbrüderung" genutzt. Zehntausende Arbeitslose fanden bis Sommer 1939 Anstellung in der durch Aufrüstung viel produzierenden deutschen Industrie. Die österreichische Wirtschaft wurde unmittelbar in das forcierte Aufrüstungsprogramm miteinbezogen, in Linz entstand mit den Reichswerken "Hermann Göring" ein führender Stahlproduzent des Reichs. In der Stadt plante Hitler zudem den Bau eines "Führermuseums": Die "Gemäldegalerie Linz" sollte europäische Altmeisterkunst bis zum 18. Jahrhundert sowie Gemälde des 19. Jahrhunderts aus Deutschland und Österreich sammeln und ausstellen. Ein "Führervorbehalt" vom Juni 1938 sicherte Hitler das Recht, aus konfiszierten Kunstschätzen Werke für das geplante "Führermuseum" in Linz auszuwählen. Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs waren für Linz auch Kunstwerke und Kulturgüter vorgesehen, die im besetzten Europa aus Museen, Kirchen, Klöstern, Archiven und Privatsammlungen geraubt wurden.

Die Erfolge der Wehrmacht in der ersten Phase des Krieges bis 1941 wurden im ganzen Deutschen Reich weitgehend mit Begeisterung aufgenommen. Bis 1945 dienten rund 1,2 Millionen Österreicher in der Wehrmacht, der Waffen-SS und ab Herbst 1944 im Volkssturm. Geschätzte 100.000 Österreicher kämpften bis 1945 dagegen in alliierten Armeen, waren ab 1942 in Partisanenverbänden oder in verschiedenen Widerstandsgruppen in Österreich gegen das NS-Regime aktiv. Getragen wurde der Widerstand hauptsächlich von der Arbeiterbewegung, und hier vor allem von Kommunisten, sowie von konservativen Kräften. Allerdings konnte keine große Wirksamkeit erzielt werden, eine gemeinsame Widerstandorganisation existierte nicht. Häufig aufgrund von Denunziation gelang es der Gestapo, zahlreiche Organisationen und Untergruppen zu zerschlagen, über 35.000 Österreicher verloren ihr Leben im Kampf gegen den NS-Staat. Hauptziel der meisten Widerstandgruppen war nach dem Sieg über das nationalsozialistische Deutschland die Wiederherstellung eines unabhängigen Österreichs, was auf der Außenministerkonferenz in Moskau 1943 auch von der Sowjetunion, Großbritannien und den USA als Kriegsziel deklariert wurde.

Ende März 1945 erreichte die Rote Armee aus Ungarn kommend österreichisches Territorium, am 13. April 1945 war die Schlacht um Wien entschieden. Die provisorische Regierung unter dem Sozialdemokraten Karl Renner (1870-1950) proklamierte am 27. April die Wiederrichtung der Republik Österreich, die jedoch zunächst unter eine alliierte Militärregierung gestellt wurde und bis 1955 in vier Besatzungszonen aufgeteilt war. Im Zweiten Weltkrieg starben rund 260.000 Soldaten sowie über 215.000 Zivilisten aus Österreich, darunter 65.500 deportierte und ermordete Juden. Dem Rassenwahn der Nationalsozialisten fielen auch 20.000 Österreicher zum Opfer, die im Rahmen der "Euthanasie"-Aktion ermordet wurden, die meisten von ihnen in der Anstalt Schloss Hartheim in Oberösterreich.

Arnulf Scriba
5. Mai 2015

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