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Die "Protokolle der Weisen von Zion"

Nach Ende des Ersten Weltkriegs suchten monarchistisch-nationalistische Kreise nach Ursachen für den militärischen Zusammenbruch des Deutschen Reichs. Immer häufiger wurde "den Juden" die Schuld an der deutschen Niederlage gegeben. In ihrer Ablehnung des "Schandfriedens" von Versailles und zur Untermauerung der "Dolchstoßlegende" instrumentalisierten Vertreter der extremen Rechten vor allem die kurz nach Kriegsende in Deutschland veröffentlichten "Protokolle der Weisen von Zion". Diese erstmals 1903 in der judenfeindlichen Presse des zaristischen Russland erschienene antisemitische Textsammlung enthielt angebliche Mitschriften jüdischer Geheimsitzungen zum Ziel der "Weltherrschaft des Judentums".

Weltanschaulich spiegelt sich in ihnen die politische Agitation gegen einen vermeintlich jüdischen Internationalismus sowie gegen die abgelehnte Moderne mit ihren Erscheinungsformen von Demokratie, Kapitalismus und Sozialismus wieder.

Die erste nichtrussische Ausgabe der "Protokolle" erschien 1919 als Broschüre im Verlag des "Verbandes gegen die Überhebung des Judentums e.V.", die zweite schon im folgenden Jahr im völkisch-antisemitischen "Hammer-Verlag" von Theodor Fritsch. Sie wurden zu einem zentralen Text der antisemitischen Bewegung der Weimarer Republik und bildeten die weltanschauliche Legitimation für die Ermordung von Reichsaußenminister Walter Rathenau durch die "Organisation Consul" im Juni 1922. Bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme erschienen in Deutschland insgesamt 33 Ausgaben des Textes, durch Übersetzungen verbreiteten sich die "Protokolle" in den 1920er Jahren aber auch in Frankreich, Großbritannien sowie den USA und wurden zur weitverbreitetsten antisemitischen Schrift des 20. Jahrhunderts. Obwohl die Londoner Tageszeitung "Times" die Tendenzschrift schon 1921 als Fälschung und Plagiat entlarvt hatte, wurde deren zweifelhafte historische Aussagekraft erst in einem von der Jüdischen Gemeinde der Schweiz 1934 angestrengten Prozess gerichtlich festgestellt.

Die in den "Protokollen" geäußerte These einer "jüdischen Weltverschwörung" war auch grundlegender Bestandteil im Gedankengerüst des NS-Antisemitismus. Mit ihnen wollte das NS-Regime die stetige Radikalisierung der antijüdischen Politik legitimieren, die nach Beginn des Zweiten Weltkriegs explizit mit einem Deutschland von "jüdischen Bolschewisten und Kapitalisten" aufgezwungenen Krieg begründet wurde. Führende Nationalsozialisten bezogen sich in ihren Reden und Schriften wiederholt auf die "Protokolle", allen voran Adolf Hitler in "Mein Kampf". Der NS-Ideologe Alfred Rosenberg widmete diesem Thema zahlreiche Artikel in der Parteizeitung "Völkischer Beobachter" sowie ein in hohen Auflagen vertriebenes Buch. Der fränkische Gauleiter Julius Streicher schließlich variierte das Thema einer dämonischen Verschwörung des "Weltjudentums" gegen den Rest der Menschheit in seinem agitatorischen Wochenblatt "Der Stürmer". Im NSDAP-Parteiverlag "Franz Eher Nachf." erschienen die "Protokolle" als sogenannte Volksausgabe, sie waren Pflichtlektüre an den Schulen und wurden von der NS-Auslandspropaganda bis nach Japan und Südamerika verbreitet.

Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden die "Protokolle" noch zu Zwecken der politischen Agitation herangezogen: Zum einen benutzten rechtsextreme Gruppen in Europa und den USA sie zur Leugnung des NS-Völkermords; zum anderen waren sie für arabische und osteuropäische Regierungen Propagandainstrument im Kampf gegen den 1948 gegründeten Staat Israel, der als das Zentrum einer nun "zionistischen Weltverschwörung" gesehen wurde.

Johannes Zechner
25. Juni 2015

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