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    Felix Nussbaum: "Selbstporträt im Versteck", 1944

> Der Zweite Weltkrieg

Der NS-Völkermord

Die forcierte Auswanderung von Juden aus Deutschland war lange vorrangiges Ziel nationalsozialistischer Politik. Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges kam die jüdische Auswanderung faktisch jedoch zum Erliegen. Je weiter sich der nationalsozialistische Machtbereich im Verlauf des Krieges ausdehnte, desto weniger wurden die Befürworter von "Aussiedlungsideen", wie es zum Beispiel der "Madagaskar-Plan" gewesen war. Mit dem Auftakt des Krieges radikalisierte das NS-Regime seine "Judenpolitik". So mussten die Juden 1939 ihre Rundfunkgeräte und Wertgegenstände abliefern und sich an besondere Ausgangssperren halten. Seit September 1941 mussten alle Juden in Deutschland den "Gelben Stern" tragen. Wenig später begannen die Deportationen aus dem "Altreich" in den Osten, vor allem in die Ghettos des von Deutschen besetzten polnischen "Generalgouvernements".

Polen - Der Beginn des Völkermords

Der deutsche Überfall auf Polen im Herbst 1939 war begleitet von Exzessen an der polnischen Bevölkerung. Juden wurden auf offener Straße schikaniert und gequält, Synagogen entweiht und zerstört, jüdische Wohngebiete geräumt und ihre Bewohner insbesondere nach 1940 in Ghettos zusammengepfercht. Morde waren an der Tagesordnung. Diese Maßnahmen bildeten den Auftakt für die 1941 einsetzende systematische Ermordung der Juden in Polen.

Die den Truppen der Wehrmacht folgenden Einsatzgruppen aus SS und Polizei sowie Einheiten des "Volksdeutschen Selbstschutz" ermordeten 1939 neben Juden auch polnische Politiker, Geistliche, Lehrer und Ärzte, aber auch Arbeiter und Gewerkschafter. Allein bis Ende 1939 töteten sie rund 60.000 Angehörige der polnischen Führungsschicht. Noch im September 1939 hatten SS-Truppen in Polen zudem mit der systematischen Ermordung psychisch kranker Menschen begonnen. Nach der NS-Rassenideologie galten nicht nur Juden sowie Sinti und Roma als "minderwertig", sondern die slawischen Völker insgesamt, vor allem Russen und Polen.

Im Dezember 1939 begannen die ersten Massendeportationen aus dem Warthegau in das "Generalgouvernement". Im Rahmen einer völkisch-rassischen "Flurbereinigung" sollten die dem Deutschen Reich eingegliederten polnischen Gebiete durch Deportationen der polnischen und jüdischen Bevölkerung sowie der Besiedelung mit Volksdeutschen vollständig "eingedeutscht" werden.

Seit dem 1. Dezember 1939 mussten die jüdischen Einwohner im Generalgouvernement eine Armbinde mit blauem Davidstern auf weißem Untergrund tragen. Damit waren Juden äußerlich erkennbar und mussten jederzeit mit antisemitischen Angriffen rechnen. In den besetzten Gebieten richteten die deutschen Besatzer Ghettos für die jüdische Bevölkerung ein. Die Todeszahlen in den Ghettos waren immens. Tausende Juden starben monatlich an den katastrophalen Lebensbedingungen oder durch Zwangsarbeit, die sie für die Deutschen verrichten mussten.

Die Ermordungen in der Sowjetunion

Das Ziel von Adolf Hitler war die Eroberung von "Lebensraum im Osten", und dafür musste die Sowjetunion unterworfen werden. Der von Heinrich Himmler 1941 in Auftrag gegebene "Generalplan Ost" enthielt detaillierte Pläne zur ethnischen Umstrukturierung und zur "Germanisierung" der zu erobernden Gebiete mit einer als rassisch wertvoll betrachteten Bevölkerung. Zugleich sollte der Osten das Deutsche Reich mit Nahrungsmitteln versorgen. Schon deshalb wurde der Tod vieler Millionen Menschen einkalkuliert. Mit dem am 22. Juni 1941 begonnenen Krieg gegen die Sowjetunion erhielt die NS-Vernichtungspolitik eine neue Dimension. Anders als die militärischen Auseinandersetzungen im Westen war der Feldzug im Osten als rassenideologischer Raub- und Vernichtungskrieg konzipiert worden, und als solcher wurde er von Beginn an geführt. Systematisch töteten mobile Mordkommandos Juden, Sinti und Roma und kommunistische Funktionäre. Sie erschossen Männer, Frauen und Kinder in Wäldern oder auf freiem Feld und verscharrten sie in Massengräbern, so auch in der Schlucht Babi Jar bei Kiew, wo Ende September 1941 rund 34.000 Juden einem Massaker zum Opfer fielen. Die deutsche Militärverwaltung tolerierte diese Verbrechen, an vielen Orten unterstützten Wehrmachtseinheiten logistisch die vier Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei sowie die mehr als 30 Polizeibataillone, die in den Jahren 1941/42 über eine Million Menschen in der Sowjetunion ermordeten.

Im Verlauf des Jahres 1941 hatte die NS-Führung die Ermordung aller im deutschen Machtbereich lebenden Juden beschlossen. Die "Endlösung der Judenfrage" sollte nicht auf die Zeit nach dem erwarteten Sieg über die Sowjetunion verschoben werden. Bis heute liegen keine Belege für einen schriftlichen Befehl Hitlers zur Ermordung der gesamten jüdischen Bevölkerung vor. Lokale Initiativen von Machthabern in den besetzten Gebieten und selbstgeschaffene Sachzwänge wie Versorgungsengpässe, Nahrungsmittelknappheit und drohende Epidemien lösten eine Radikalisierung von Entscheidungen und Prozessen aus. Kaum eine Institution des NS-Regimes blieb beim Völkermord unbeteiligt, und es herrschte die feste Überzeugung vor, dem Willen des "Führers" entgegenzuarbeiten und seine antisemitische Mission zu erfüllen.

Wannsee-Konferenz und "Aktion-Reinhardt"

Bereits am 31. Juli 1941 war dem SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts (RSHA) und engster Mitarbeiter von Heinrich Himmler, die administrative Vorbereitung der "Endlösung der Judenfrage" übertragen worden. Zuständig für die zentrale Organisation der Deportationen war der Leiter im Referat IV B 4 ("Judenangelegenheiten"), Adolf Eichmann. Hunderttausende Juden aus fast ganz Europa wurden nun in die Ghettos im Osten deportiert. Die systematische Deportation der deutschen Juden begann im Oktober 1941, die ersten von ihnen starben am 25. November bei Massenerschießungen im litauischen Kaunas. Die letzte Phase der NS-Judenpolitik war nunmehr ausschließlich auf die Ermordung der Juden ausgerichtet. Der Völkermord an den Juden, aber auch an Sinti und Roma hatte bereits begonnen, als Heydrich am 20. Januar 1942 auf der "Wannsee-Konferenz" mit Staatssekretären und hohen Funktionären des NS-Staats die verwaltungsmäßige Umsetzung und technisch-organisatorische Details der "Endlösung der Judenfrage" besprach. Nun setzte das NS-Regime alle Mittel ein, um den Völkermord europaweit zu koordinieren und systematisch durchzuführen.

Im Vernichtungslager Chelmno im Reichsgau Wartheland wurden Juden seit Dezember 1941 vergast. Die Erschießungen von Juden hatten sich für die Beteiligten auf die Dauer als zu anstrengend erwiesen, weswegen hier eine distanziertere Methode erprobt wurde. Die Menschen wurden in Gaswagen - Möbelwagen ähnliche LKWs - gepfercht, in denen sie langsam und qualvoll an Kohlenmonoxyd-Abgasen erstickten. Die Vergasung in Chelmno wurde von dem Mordpersonal geleitet, das entsprechende Erfahrungen bei der "Euthanasie"-Aktion" im Deutschen Reich gegen Behinderte gesammelt hatte. Die zwischen März und Juli 1942 im Distrikt Lublin geschaffenen Vernichtungslager der "Aktion Reinhardt" - Belzec, Sobibor und Treblinka - wurden ebenfalls von "Euthanasie"-Experten aufgebaut. Diese drei Lager waren für die Juden im "Generalgouvernement" bestimmt. Allein in Treblinka wurden in den Gaskammern vermutlich 900.000 Juden vor allem aus dem Warschauer Ghetto ermordet. Insgesamt fielen den Massentötungen in den drei Lagern Belzec, Sobibor und Treblinka bis zum Abschluss der "Aktion Reinhardt" im Oktober 1943 rund 1,75 Millionen zumeist polnischer Juden zum Opfer. Der Wert der Gegenstände wie Uhren, Brillen, Schmuck etc., die den getöteten Juden abgenommen wurden, lag bei rund 180 Millionen Reichsmark, die einem Sonderkonto der Schutzstaffel gutgeschrieben wurden.

Das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz

Zentrum der "NS-Vernichtungspolitik" war das 1940 errichtete Konzentrationslager Auschwitz, wo die SS auf Anweisung des Lagerkommandanten Rudolf Höß bereits im September 1941 das Giftgas Zyklon B an sowjetischen Kriegsgefangenen "erprobt" hatte. Seit Anfang 1942 fuhren die Deportationszüge aus fast ganz Europa in das größte Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Ab 1942 wurden Juden aus dem Deutschen Reich, dem "Protektorat Böhmen und Mähren", Polen, der Slowakei, Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Norwegen nach Auschwitz deportiert. 1943 folgten Juden aus Griechenland und Italien. Zwischen Mai und Juni 1944 ließ Eichmann die ungarischen Juden nach Auschwitz deportieren. Das von deutschen Truppen besetzte Serbien galt bereits im April 1942 als "judenfrei". Dort waren die Juden an Ort und Stelle erschossen oder in Gaswagen ermordet worden.

Tausende Menschen kamen in Auschwitz neben der systematischen Ermordung auch durch medizinische Versuche um, wofür besonders der Mediziner Josef Mengele verantwortlich war. Nachdem Himmler im Sommer 1942 den weiteren Ausbau von Auschwitz befohlen hatte, wurde ab 1943 mit vier Gaskammern und angeschlossenen Krematorien der Massenmord an Juden, aber auch an Sinti und Roma nahezu "industriell" durchgeführt. An der Rampe des Vernichtungslagers wurden die ankommenden Juden "selektiert". Alte, Kranke, erschöpft Wirkende, schwangere Frauen und Mütter mit Kindern wurden in der Regel direkt in die Gaskammern gebracht. Ihre Habseligkeiten wurden an Ort und Stelle sortiert und zur weiteren Verwendung nach Deutschland geschickt. Noch "arbeitsfähige" Juden mussten Zwangsarbeit leisten, bis auch sie den Seuchen, dem Hunger oder den regelmäßigen Selektionen zum Opfer fielen und vergast wurden. Über eine Million Menschen fanden den Tod in Auschwitz, das weltweit zu einem Synonym für den Massenmord an den Juden wurde.

Im Konzentrations- und Vernichtungslager Majdanek starben über 78.000 Menschen, darunter etwa 60.000 Juden. Allein bei der Aktion "Erntefest" am 3. November 1943 wurden bei einem Massaker innerhalb weniger Stunden sämtliche rund 18.000 Juden im Lager erschossen. Als 1944 die Ostfront näherrückte, wurden die Vernichtungslager auf Befehl Himmlers weitgehend zerstört, um keine Zeugnisse des Massenmords zu hinterlassen. Die letzten KZ-Insassen wurden auf "Todesmärschen" in den Westen gebracht. Dabei kamen ungezählte Häftlinge vor Erschöpfung um oder wurden von der SS erschossen.

Insgesamt fielen der von den Nationalsozialisten in ihrem Rassenwahn angestrebten "Entjudung" Europas durch Vergasung, Erschießung, Injektionen, medizinische Versuche oder durch gezieltes Verhungernlassen rund 5,6 Millionen Juden zum Opfer, davon etwa 2,7 Millionen in den Vernichtungslagern. Als "rassisch minderwertig" galten neben den Juden auch die europäischen Sinti und Roma. Mehr als 250.000 fielen den Einsatzgruppen zum Opfer oder wurden in den Vernichtungslagern vergast.

Arnulf Scriba
20. August 2014

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