• ba106746

    Wachtposten vor dem Eingang zum Ghetto Lodz/Litzmannstadt, 1940

> Der Zweite Weltkrieg > Völkermord

Das Ghetto Lodz/Litzmannstadt

Nach dem deutschen Überfall auf Polen wurde Lodz im November 1939 dem Deutschen Reich direkt als Teil des "Reichsgaus Wartheland" einverleibt. Die zweitgrößte polnische Stadt erhielt am 11. April 1940 den Namen "Litzmannstadt", benannt nach dem deutschen General des Ersten Weltkrieges und NS-Würdenträgers Karl Litzmann (1850-1936). Mit der Machtübernahme durch die deutschen Behörden unterlagen die Mitglieder der nach Warschau größten jüdischen Gemeinde in Polen mit sofortiger Wirkung willkürlichen rechtlichen Beschränkungen, wurden Opfer von Gewalt und Besitzraub. Entsprechend den Weisungen von Reinhard Heydrich vom 21. September 1939 erfolgte die schrittweise Konzentration der jüdischen Bevölkerung in einzelnen Stadtvierteln. Die lokalen Machthaber unter Gauleiter Arthur Greiser (1897-1946) gingen hierbei zunächst von einer Übergangsmaßnahme aus und beabsichtigten die baldige Abschiebung der jüdischen Bevölkerung ins Generalgouvernement.

 

Unstimmigkeiten und Rivalitäten innerhalb der NS-Hierarchie machten diesen Plan jedoch zunichte. Im Februar 1940 wurden daher die Altstadt von Lodz sowie das Elendsviertel Baluty und die Vorstadt Marysin zum festen Ghettogelände erklärt und die Juden der Stadt dorthin getrieben. Am 30. April 1940 erfolgte seine endgültige, hermetische Absperrung. Es galt gemeinhin als das am vollständigsten isolierte Ghetto. Auf engstem Raum zusammengepfercht, standen den etwa 164.000 Bewohnern ca. 48.000 Räume zur Verfügung.

Die Organisationsstruktur des Ghettos von Lodz bestand aus der deutschen Ghettoverwaltung unter dem Bremer Diplomkaufmann Hans Biebow (1902-1947), einer deutschen Polizeiaufsicht und scheinbarer jüdischer Selbstverwaltung. Wie in anderen Ghettos setzte die deutsche Besatzungsmacht auch in Lodz einen "Judenrat" ein, dem der "Älteste der Juden in Litzmannstadt Getto", Mordechai Chaim Rumkowski (1877-1944), vorsaß. Ihm unterstand ein gut ausgebauter jüdischer Verwaltungsapparat, der praktisch das gesamte Leben der Ghettobewohner umfaßte. Ein Arbeitsamt, ein Meldebüro, eine zeitweise Schulabteilung, zentral organisierte Lebensmittelläden und eine eigene jüdische Polizei sollten den Schein von Normalität aufrecht erhalten. Eingeführt wurde auch ein spezielles Ghettogeld, das außerhalb des abgegrenzten Gebiets keinen Wert besaß. In seiner Existenz, insbesondere in wirtschaftlich-finanzieller Hinsicht, verblieb das Ghetto in absoluter Abhängigkeit von den deutschen Behörden.

Die im Ghetto Eingesperrten mußten für die Kosten ihres Lebensunterhalts selbst aufkommen. Während dies in den ersten Monaten zunächst durch den Zwangsverkauf und Raub der oftmals letzten Wertgegenstände der jüdischen Bevölkerung geschah, entstanden in den Jahren von 1940 bis 1944 im Ghetto zahlreiche Fabriken, die mit jüdischen Zwangsarbeitern für die Wehrmacht und private Unternehmen produzierten. Mit seiner umstrittenen Politik der bedingten Kooperation unter der Parole "Unser einziger Weg ist Arbeit" versuchte Rumkowski, die eingesetzten jüdischen Arbeitskräfte für die deutschen Behörden unentbehrlich werden zu lassen. Trotz seiner Bemühungen herrschten im Ghetto jedoch Bedingungen, die während der vier Jahre und acht Monate seiner Existenz zum Tode von fast einem Viertel seiner Bewohner führten. Die in beengtesten Wohnverhältnissen lebenden Menschen starben an Hunger, Krankheiten und den Folgen der Zwangsarbeit.

Die Lebensverhältnisse im Ghetto verschärften sich mit den jeweiligen Deportationen weiterer jüdischer Bevölkerungsgruppen: Im Herbst 1941 wurden knapp 20.000 Juden aus Österreich, Böhmen, Luxemburg und dem Altreich nach Lodz deportiert. Vom 7. Dezember 1941 bis zum 28. August 1942 folgten 18.000 Juden aus den aufgelösten Provinzghettos im Warthegau. Außerdem wurden über 5.000 Sinti und Roma aus dem Burgenland im November 1941 in ein vom Restghetto streng isoliertes "Zigeunerlager" verschleppt. Diese sogenannten Einsiedlungen fielen zeitlich zusammen mit den sich innerhalb des NS-Regimes konkretisierenden Plänen zur "Endlösung der Judenfrage". Von Januar bis September 1942 wurden in mehreren Deportationswellen über 70.000 Menschen im ungefähr 60 Kilometer westlich von Lodz gelegenen Vernichtungslager Chelmno ermordet.

Deportiert wurden vor allem nichtarbeitende Menschen: Alte, Kranke und Kinder unter zehn Jahren. Daher nahm das Ghetto Lodz zunehmend den Charakter eines reinen Arbeitsghettos an. Dieser verlieh der jüdischen Bevölkerung in den Augen der deutschen Behörden ein befristetes Existenzrecht, bis Anfang Mai 1944 Heinrich Himmler die endgültige Räumung des Ghettos mit dem Ziel der Ermordung seiner Bevölkerung anordnete. Die Deportationen wurden wieder aufgenommen und bis zum 14. Juli 1944 fast 7.200 Menschen in Chelmno getötet. Im August 1944 deportierten die deutschen Machthabenden mehr als 65.000 Menschen nach Auschwitz-Birkenau. Nur ein "Aufräumkommando" von 600 Juden ließen die deutschen Behörden zurück, zu denen später noch 277 Versteckte stießen. Am 19. Januar 1945 wurde Lodz von der nach Westen vorstoßenden sowjetischen Armee befreit. Von den ungefähr 205.000 über die Jahre in das Ghetto verschleppten Menschen überlebten insgesamt geschätzte 5.000 bis 6.000.

Susanne Härtel
15. Mai 2015

lo