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    Anna Seghers nach ihrer Rückkehr aus 14-jähriger Emigration, 1947

> NS-Regime > Etablierung der NS-Herrschaft

Emigration aus dem NS-Staat

In den ersten Wochen und Monaten nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten waren es vor allem ihre politischen Gegner, die Deutschland aus Angst vor Repressalien und Verfolgung verließen. Erste Zufluchtsländer für viele der insgesamt rund 30.000 bis 40.000 politischen Emigranten waren Frankreich und die Tschechoslowakei. Paris und Prag wurden zunächst die wichtigsten Zentren des politischen Exils. Unter den Exilanten waren viele Künstler und Literaten, denen die Nationalsozialisten jede Grundlage des Schaffens in Deutschland entzogen hatten. Exil, das bedeutete Ausbürgerung, Entrechtung, Heimatlosigkeit - wie es Bertolt Brecht in seinem Gedicht "Über die Bezeichnung Emigration" eindringlich auszudrücken vermochte. Exil bedeutete für jeden Emigranten gleichermaßen auch Orientierungslosigkeit, Existenzbedrohung, Geldmangel, Sprachprobleme und politische Unmündigkeit, verbunden mit Heimweh und der Sorge um das Wohlergehen daheimgebliebener Verwandter und Freunde.

 

Schriftstellerinnen wie Anna Seghers und Schriftsteller wie Thomas Mann und Heinrich Mann, Lion Feuchtwanger, Alfred Döblin und Joseph Roth, Publizisten wie Alfred Kerr oder Politiker wie Rudolf Breitscheid von der SPD und Willi Münzenberg von der KPD beteiligten sich in Paris an den Veranstaltungen der "deutschen Kolonie" oder schrieben für das "Pariser Tageblatt" und andere Exilzeitschriften. Auf sehr verschiedenen Wegen traten die Emigranten in der ganzen Welt der nationalsozialistischen Diktatur entgegen. So organisierten sie die Herstellung und den Transport von Flugblättern, die in Deutschland verteilt werden sollten, oder leisteten Aufklärungsarbeit über das nationalsozialistische Deutschland in ihren Exilländern.

Auch deutsche Juden flohen vor dem in Deutschland zunehmenden Antisemitismus und der Verfolgung zunächst vorzugsweise in die Nachbarländer und nach Großbritannien. Die jährlichen Auswanderungszahlen standen in Korrelation zu den antijüdischen Maßnahmen und differierten stark. Unter dem Eindruck des Geschäftsboykotts im April 1933 und der sich daran anschließenden antijüdischen Gesetzgebung verließen 1933 rund 37.000 Juden Deutschland. Im Zuge der Nürnberger Gesetze folgte 1935 die zweite Auswanderungswelle. Eine regelrechte Massenflucht setzte nach dem Pogrom vom 9. November 1938 ein: 1939 flohen 78.000 Juden vor dem Terror der Nationalsozialisten. Die im Januar 1939 von Hermann Göring im Innenministerium gegründete "Reichszentrale für jüdische Auswanderung" koordinierte und forcierte schließlich die Auswanderung. Bis zum endgültigen Auswanderungsverbot im Oktober 1941 gelang es annähernd der Hälfte der 1933 etwa 525.000 in Deutschland lebenden Juden, das Land zu verlassen. Von den 206.000 österreichischen Juden flohen nach dem "Anschluss" Österreichs​​​​​​​ im März 1938 innerhalb weniger Monate rund 130.000 vor den neuen Machthabern. Die Suche nach aufnahmebereiten Ländern war vor allem für die ihres Vermögens beraubten Juden mit großen Schwierigkeiten verbunden, da beinahe alle Staaten einer Einwanderung mittelloser Juden ablehnend gegenüberstanden. Waren die meisten Emigranten zunächst in das europäische Ausland und nach Palästina geflohen, so wurden die USA immer öfter zum bevorzugten Einwanderungsland, nachdem die amerikanische Regierung die Einwanderungsbestimmungen für Juden aus Deutschland angesichts der antisemitischen Ereignisse im Deutschen Reich ein wenig gelockert hatte. Mit insgesamt 132.000 nahmen die USA die meisten Juden aus Deutschland und Österreich auf, über 80.000 fanden in Lateinamerika Zuflucht, in Argentinien allein 30.000. Rund 55.000 Flüchtlinge konnten sich in Palästina niederlassen. Großbritannien hielt mit etwa 75.000 Personen den größten Anteil deutsch-jüdischer Einwanderer in Europa.

Arnulf Scriba
22. Juni 2015

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