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    Westwall: "Arbeitsmaiden" gehen zur Feldarbeit

Nach dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich in Europa ein militärisches Festungsdenken, das in den Erfahrungen des Stellungskriegs und der extrem hohen Menschenverlusten wurzelte. Die französische Maginotlinie, geplant von André Maginot, war Ausdruck des französischen Schutzbedürfnisses gegenüber Deutschland und wurde als Defensivmaßnahme über viele Baujahre realisiert. Weitere europäische Grenzbefestigungen kamen hinzu, wie beispielsweise die unter französischer Leitung gebauten tschechoslowakischen Befestigungslinien an der Grenze zu Deutschland.

 

Das Deutsche Reich durfte nach den Bestimmungen von Artikel 180 des Versailler Vertrags keine Festungen und Befestigungen besitzen, die auf westlichem Reichsgebiet bis zu 50 Kilometer östlich des Rheins liegen. Die vorhandenen Befestigungen wurden zerstört. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 brach Adolf Hitler schrittweise die Bestimmungen des Versailler Vertrags. Im Herbst 1935 begannen in Berlin Planungen für eine deutsche Westbefestigung, für deren Realisierung 15 Jahre veranschlagt wurden. Der Plan erhielt den Namen "Limes Programm", in Anlehnung an die römische Befestigung. Im Laufe der Bauzeit gab die Zivilbevölkerung ihm aber den Namen "Westwall", wie er später auch offiziell hieß. Bei Beginn der Bauausführung 1936 lag die Verantwortlichkeit bei den Festungspionieren der Wehrmacht. Um den Bau zu forcieren, beauftragte Hitler im Mai 1938 den durch den Autobahnbau bewährten Fritz Todt mit den Arbeiten. Hierfür schaffte Todt durch das Zusammenwirken von Bauverwaltung, privaten Firmen und Reichsarbeitsdienst (RAD) die "Organisation Todt" (OT). Zum Teil arbeiteten insgesamt rund 600.000 Menschen gleichzeitig auf den Baustellen. Mit Verordnung vom 13. Oktober 1939 wurde an alle am Bau beteiligten Personen das "Deutsche Schutzwallehrenzeichen" verliehen.

Der Westwall wurde in einer Rekordzeit von etwa 15 Monaten bis 1939 fertiggestellt. Er erstreckte sich im Norden von Kleve an der holländischen Grenze bis nach Weil am Rhein an der Grenze zur Schweiz auf einer Länge von 630 Kilometern. Verbaut wurden insgesamt acht Millionen Tonnen Zement, 1,2 Millionen Tonnen Eisen und mehr als 20 Millionen Kubikmeter Kies und Sand. Die OT errichtete große Hindernisbauten wie Panzerhindernisse, Wassergräben und kilometerlange Höckerhindernisse, während die Festungspioniere die Innen- und Kommunikationseinrichtungen sowie die Bewaffnung übernahmen. Errichtet wurden ca. 14.800 Bunker und 9.800 Werke. Diese Werke bestanden aus rund 5.800 Unterständen für Infanterie und Artillerie, 2.300 Kampfanlagen wie Scharten für Maschinengewehre und Geschützstände zur Panzerabwehr sowie etwa 1.700 Beobachter-, Gefechts-, Sanitäts-, Munitions- und Versorgungsständen. Dazu kam auf ganzer Länge eine Sperre aus Betonhöckern, die für Panzer unüberwindbar war.

Die mit dem Westwall verbundenen Ziele waren zahlreich: Innenpolitisch diente er der Arbeitsbeschaffung und als Beweis der Leistungsfähigkeit der deutschen Volkswirtschaft. Größere Bedeutung erlangte der Westwall jedoch durch die propagandistische Darstellung als unüberwindliches Hindernis. Westeuropäische Regierungen und Militärs teilten bald nach seiner Fertigstellung diese Auffassung. Deshalb erfüllte der Westwall bei Beginn des Zweiten Weltkriegs im sogenannten Sitzkrieg seine Aufgabe: Die Westmächte griffen Deutschland nicht an. Nach dem siegreichen Frankreichfeldzug baute die Wehrmacht sämtliche leichte und schwere Waffen aus dem Westwall aus und im neu entstehenden Atlantikwall ein.

Mit dem Vorrücken der alliierten Truppen in Frankreich nach der Invasion in der Normandie erteilte das Oberkommando der Wehrmacht (OKW) im August 1944 den Befehl zur Rearmierung des Westwalls. Soldaten der zurückströmenden Wehrmacht und Einheiten des Volkssturm bemannten ab September die Anlagen und setzten sie in aller Eile instand. Um den Durchhaltewillen der Bevölkerung zu stärken, pries die NS-Propaganda bis zuletzt die Unüberwindbarkeit des Westwalls. Dies beeinflusste tatsächlich die militärischen Entscheidungen der Amerikaner, die den Wall "Siegfried-Linie" nannten und einen Frontalangriff scheuten. General Dwight D. Eisenhower ließ vor dem Westwall halt machen, um Verstärkungen nachzuziehen und die Befestigungsanlagen einzeln durch direkten Beschuss und schwere Pionierwaffen wie Räumgeräte zu zerstören. Der am stärksten umkämpfte Bereich des Westwalls war die Gegend des Hürtgenwaldes in der Nordeifel, ca. 20 Kilometer südöstlich von Aachen gelegen, wo sich zehn amerikanische und neun deutsche Divisionen erbitterte Kämpfe lieferten.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden viele der Westwallanlagen durch Sprengungen geschleift. Bei diesen Arbeiten sowie bei der Beseitigung der Minen verloren nochmals zahlreiche Menschen ihr Leben. Einige Teile des Westwalls sind erhalten, insgesamt etwa 900 Bunker, davon 600 im Saarland.

Robert Thoms
19. Mai 2015

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